Die Theke leuchtet in allen Farben: rote, gelbe, braune Macarons mit Kokosfüllung, Schokocreme, Maracuja-Mousse. Meine Mitbewohnerin Kátia kann sich nicht entscheiden. „Wäre toll, wenn man probieren könnte“, sagt Kátia zur Verkäuferin. „Das haben wir versucht“, antwortet sie. „Die Leute kamen, aßen uns die Proben weg und gingen wieder, ohne auch nur einen Macaron zu kaufen.“
Wie an der Probiertheke in der Macaronnerie, so läuft es auch in der brasilianischen Politik: Jeder nimmt sich, was er kriegen kann. Francisco Dornelles zum Beispiel. Vergangenen Freitag rief der Interims-Gouverneur des Staates Rio de Janeiro den Finanznotstand aus. Vier Tage später erwartete der Guanabara-Palast, Sitz der Landesregierung, eine überaus luxuriöse Lieferung: Himbeeren im Wert von 2300 Euro, beste Schnitte vom Rind für 8200 Euro, Fisch in der gleichen Preisklasse. Die Gesamtrechnung wäre so saftig geworden wie das Essen: gut 93.400 Euro.
Wer weiß: Vielleicht wollte der Gouverneur ja die vom Land angestellten Lehrer und Polizisten, die seit November ihren Lohn verspätet und nur ratenweise erhalten, in Naturalien auszahlen. Vielleicht wollte er auch die Armen, die keine Sozialhilfen mehr bekommen, und die Patienten, die in den Krankenhäusern abgewiesen werden, zu Tisch bitten.
Schade, dass die Bestellung an die Öffentlichkeit kam – Dornelles musste sie canceln, und das, obwohl er angeblich nicht einmal davon gewusst hatte. Immer sind die anderen schuld.
Das gilt auch für die knappe Kasse des Bundeslandes: Die Vorbereitung der Olympischen und Paralympischen Spiele habe „ernsthafte Probleme in den öffentlichen Dienstleistungen nach sich gezogen“, schreibt Dornelles im Dekret zum Finanznotstand.
Rios Bürgermeister Eduardo Paes spielt den Schwarzen Peter zurück: „Wenn irgendwer an Olympia gebrochen wäre, dann die Stadt, die für 94 Prozent der Arbeiten verantwortlich ist“, sagte er nun in einer Pressekonferenz. Die Landesregierung nutze die Spiele als Rechtfertigung, um eine Finanzspritze vom Bund zu bekommen.
Das wiederum findet er völlig in Ordnung – auch, wenn der öffentliche Notstand in Brasilien streng genommen nur aufgrund einer Naturkatastrophe ausgerufen werden darf. Kein Wunder, ohne die Mittel von oben hätte Paes ein Riesenproblem: Wenn die Metrolinie nach Barra da Tijuca nicht bis zum 5. August fertig wird, stecken die Spiele buchstäblich im Stau. Und die 85.000 Beamten, die für die Sicherheit der Olympia-Gäste sorgen sollen, könnten ebenfalls nicht bezahlt werden.
Letzteres ist schon mal gesichert. Am Dienstag erklärte die Regierung, dem Land knapp 750 Millionen Euro für die öffentliche Sicherheit während der Spiele zuzuschießen. Ein Teil davon könnte in den Ausbau der Metro fließen. Kein Wort über Sozialhilfen, Gehälter oder Mittel für Krankenhäuser. Hauptsache, das Prestigeprojekt Olympia läuft.
Erschienen am 24. Juni 2016 auf RNZ Online