Anand Seghal ist vor zehn Wochen Vater geworden. Das nächste Jahr wird er mit Tochter Rani zu Hause bleiben, während seine Partnerin arbeitet. Er hat uns erzählt, wie er zu dieser Entscheidung gekommen ist, welche Reaktionen er auf seine Vaterzeit bekommt, wie sich das Elternpaar die Sorgearbeit aufteilt – und was Stillen mit Gleichberechtigung zu tun hat.
Als ich reinkomme, ist Anand Seghal gerade dabei, Milchpulver aus einer großen Tüte in zwei kleine Döschen zu füllen. Er schraubt die Deckel zu, bietet mir etwas zu trinken an und führt mich dann in den Garten.
Dort sitzt seine Partnerin Marlinde Bärenz, mit Headset und Laptop und Tochter. Sie unterbricht ihr Meeting: „Anand übernimmt jetzt Rani, ich bin gleich wieder da.“ Rani macht nur kurz die Augen auf, als ihre Mutter sie vom Stillkissen hebt, um dann gleich auf Anands Schoß weiterzuschlafen.
Die Entscheidung
Rani ist zehn Wochen alt. Seitdem ist ihr Vater in Elternzeit, ein Jahr soll sie dauern. Dass er Elternzeit machen würde, war für ihn klar gewesen. Ein Grund dafür ist sein eigener Vater, zu dem er ein sehr gutes Verhältnis hat. Der vieles richtig gemacht hat. Der ihm als Kind Gute-Nacht-Geschichten erzählt, ihm Frühstück gemacht und für ihn gesungen hat.
Dennoch war es die Mutter, die die ersten drei Jahre bis zum Kindergarten zu Hause blieb, während sein Vater beruflich stark eingespannt und unterwegs war. Deshalb ist es Anand wichtig, dass seine Kinder später sagen werden: „Papa war da.“
Dass er die komplette Elternzeit nehmen würde, habe sich aus ihrer Konstellation heraus ergeben: Marlinde hat eine eigene Firma, CEFE International, die Unternehmertum in Entwicklungsländern fördert. Wegen ihrer Liebe zum Beruf und ihrer Verantwortung für die Firma, wollte Marlinde so schnell wie möglich in den Job zurückkehren.
Anand ist bei der IT-Beratung Adesso Mobile Solutions in der Qualitätssicherung tätig. Er mag seine Arbeit. Aber eine Zeit ganz intensiv mit seinem Kind zu verbringen, das war für ihn eine besondere Vorstellung. Das hat sicher auch mit seinem Alter zu tun, sagt er: „Ich bin Mitte 40, ich habe schon einiges an Berufserfahrung sammeln können. Und ich weiß ungefähr, was mich bis zur Rente noch erwartet.“
Mit dem Alter hat es vielleicht auch zu tun, dass er kein Problem damit hat, aus der klassischen Männerrolle rauszugehen. „Ich hätte überhaupt keinen Bock auf die reine Versorgerrolle“, sagt er und grinst. Mit Mitte 20 wäre das womöglich noch anders gewesen.
Mit Mitte 20 hätte er sich womöglich auch noch gefragt, ob es seine Männlichkeit einschränken würde, eine Zeitlang weniger Geld nach Hause zu bringen als seine Partnerin. Heute ist das für ihn kein Thema. Außerhalb der Elternzeit verdienen beide etwa gleich viel. Nun haben sie eben ein Jahr lang gemeinsam weniger Geld als sonst. Fertig.
Der Alltag
„Ich fühl mich wohl in meiner Rolle“, sagt Anand und streichelt Rani über den Kopf. Wie seine Tage in dieser neuen Rolle aussehen, das spielt sich gerade erst ein. In der Mutterschutz-Zeit haben Marlinde und er das meiste gemeinsam gemacht. Seit sie wieder arbeitet – zunächst 20 Stunden, später 32 Stunden die Woche – übernimmt Anand nach und nach mehr Aufgaben.
Den Rhythmus bestimmt Rani. Anand beschreibt ihn, beginnend beim Abend: Ganz wie der Vater ist Rani bislang eine Nachteule, vor 1 Uhr morgens ist an Schlaf nicht zu denken. Weil Marlinde ein früher Vogel ist, legt sie sich um 22 Uhr hin, Anand bleibt mit dem Baby auf.
Wenn Rani dann morgens um 5 oder 6 Uhr das erste Mal wach wird, ist erst einmal Marlinde dran. Sobald sie an den Schreibtisch geht, übernimmt Anand wieder. Am Vortag war er das erste Mal mit ihr bei der Babymassage, am Wochenende bei einem Vater-Kind-Kurs, demnächst will er nach einem Babyschwimm-Kurs suchen. „Das mache alles ich, weil ich in Elternzeit bin.“
Die Reaktionen
Damit fällt er natürlich auf. Einerseits. Andererseits wird der Babymassage-Kurs von einem Mann geleitet – „sogar ein Deutsch-Asiate, wie ich“, sagt Anand, dessen Eltern aus Indien stammen, und lacht. Wiederum andererseits war er selbst beim Vätertreff der Einzige, der so lange Elternzeit nimmt.
Immerhin sind die Reaktionen darauf bislang durchweg positiv. Überrascht, aber positiv. Das hat Anand anders erwartet.
Er erzählt von einem Verwandten aus Berlin, der ein Jahr Elternzeit genommen und mit seinem Kind einen Pekip-Kurs besucht hat. Die anderen, ausschließlich Mütter, hätten bald eine WhatsApp-Gruppe gegründet – und ihn nicht dazu eingeladen.
Dieses Gespräch ist im Newsletter „GL Familie“ erschienen. Damit versorgt Laura Geyer Eltern (und Großeltern) mit allem, was sie hier vor Ort wissen müssen: wichtige Infos, praktische Tipps, Leseempfehlungen und alle Veranstaltungen, die sich an Familien und Kinder richten.
Ein anderer Bekannter ist, nachdem er drei Monate Elternzeit eingereicht hatte, zum obersten Chef bestellt und dort angeschnauzt worden: Wenn er ihm die Elternzeit verbieten könnte, würde er das tun.
Sein eigener Chef habe zum Glück völlig unproblematisch reagiert, erzählt Anand. „Ich weiß, dass ich ein Recht auf Elternzeit habe, aber ich bin froh, einen Arbeitgeber zu haben, bei dem das überhaupt kein Thema ist.“
Die Ängste
Ansonsten ist es in seinem Umfeld zwar durchaus üblich, dass Väter Elternzeit nehmen – aber in der Regel nur zwei Monate. Teilweise, weil die Mütter es nicht anders wollen.
Diese zwei Monate seien dann meistens ein besserer Urlaub, aber das sei nicht Sinn und Zweck der Elternzeit, findet Anand. Auf die Frage, was denn Sinn und Zweck der Elternzeit sei, antwortet er nach kurzem Überlegen: „Sich eine Zeitlang hauptverantwortlich ums Kind zu kümmern.“
Die Fakten: Wieviele Männer in Rhein-Berg wie lange Elternzeit nehmen
Im Rheinisch-Bergischen Kreis (RBK) haben im Jahr 2022 3825 Personen Elterngeld bezogen (die Zahlen beinhalten Basiselterngeld und Elterngeld Plus) – davon 32 Prozent Männer. Zum Vergleich: Bundesweit waren es im selben Jahr 26 Prozent, in NRW 24,5 Prozent Männer.
Im RBK haben 75 Prozent der Männer zwei Monate lang Elterngeld bezogen. Ein ganzes Jahr Elterngeld bekamen 4 Prozent der Männer. Demgegenüber erhielten 61 Prozent der Frauen zehn bis zwölf Monate Elterngeld.
Im Jahr 2012 waren 22 Prozent der Personen, die im RBK Elterngeld bezogen, Männer. 2016, nach der Einführung von Elterngeld Plus, waren es 25 Prozent Männer, davon 77 Prozent mit zwei Monaten Elterngeld.
Der Anteil der Männer im RBK, die Elternzeit nehmen, hat also in den letzten zehn Jahren um 10 Prozent zugenommen und liegt damit sogar 6 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Weiterhin beschränken sich aber die meisten von ihnen auf die zwei Monate, die gesetzlich notwendig sind, damit Eltern insgesamt 14 Monate Elterngeld bekommen.
Dass er das als Vater ebenso kann wie seine Partnerin, davon war er eigentlich überzeugt. Kinder bräuchten (mindestens) eine enge Bezugsperson, die für sie da sei, sich um sie kümmere, auf die sie sich verlassen könnten. Egal welchen Geschlechts.
Leise Ängste hatte er aber doch. Und so ist er jetzt freudig überrascht, dass Rani sich tatsächlich genauso von ihm beruhigen lässt wie von Marlinde. Dass sie sich bei ihm genauso rundum wohlfühlt.
Er schaut zu dem immer noch friedlich schlafenden Baby herunter, streichelt ihm über die Haare.
Die Gleichberechtigung
Marlinde setzt sich für einen Moment dazu, ihr Meeting hat gerade geendet. Sie erzählt, dass sie schon im Krankenhaus begonnen haben, den Körperkontakt mit Rani aufzuteilen. Sie wollte nicht, dass Rani emotional nur von ihr abhängig würde, dass nur sie sie beruhigen und zum Schlafen bringen könnte, wie sie es von vielen Mütter gehört hatte.
Die Gleichberechtigung als Elternpaar planen und leben beide ganz systematisch. Jeden Sonntag setzen sie sich zu einem „To-do-Meeting“ zusammen und besprechen, was ansteht. Haushalts-Aufgaben wie einkaufen, Wäsche machen und Katzenklo säubern wechseln sie im Zwei-Wochen-Rhythmus ab. Beide kochen, beide wickeln.
Auch um Rani kümmert sich Marlinde weiterhin viel, obwohl sie wieder arbeitet. „Das geht auch ohne Elternzeit“, sagt Anand. Viele Väter würden sich da aus der Verantwortung ziehen und nach der Arbeit die Füße hochlegen, anstatt intensiv Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, findet er.
Der Knackpunkt
Der einzige große Knackpunkt bei der gleichberechtigten Elternschaft: das Stillen.
Man spürt, dass das Thema sie beide beschäftigt, dass es sehr emotional besetzt ist. Dennoch – oder gerade deshalb – sind sie auch hier systematisch vorgegangen. Haben sich vor der Geburt zu dem Thema belesen, geplant. Entschieden, dass Rani möglichst sechs Monate lang gestillt werden sollte, so, wie es die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt.
Damit auch Anand das Baby füttern könnte, versuchte Marlinde es mit Abpumpen. Das klappte aber nicht besonders gut.
Hinzu kam die Angst vor der sagenumwobenen „Saugverwirrung“ – weil die Milch aus der Flasche normalerweise leichter fließt als aus der Brust, könnte das Baby fortan die Brust verweigern, so liest man es überall.
Doch nach sechs Wochen vollen Stillens fühlte Marline sich so überbelastet, dass beide die Reißleine zogen und sich sagten: Wir füttern jetzt Milchpulver zu. Für alle Fälle besorgten sie einen speziellen Sauger, der dem Trinken an der Brust besonders nahe kommen soll. Und siehe da: Alles lief gut.
Anand sagt, das hat seine Partnerin und ihr Verhältnis zueinander stark entlastet. Er spricht von einer regelrechten „Still-Lobby“, die es den Müttern wie den Vätern schwer macht. Es sei sicher wichtig, dass Babys möglichst viel Brustmilch bekämen. Aber: „Dass es den Eltern gut geht, dass sie nicht in einem dauerhaften Ausnahmezustand sind, ist auch wichtig und kommt bestimmt auch dem Kind zugute.“
Immer noch trinkt Rani zu 80 Prozent an der Brust – wenn Marlinde zuhause arbeitet, reicht Anand sie zum Stillen zu ihr rein, manchmal sogar in Meetings. „Die Freiheit nehme ich mir“, sagt Marlinde, „das kann ich als Chefin, und damit kann ich auch meinen Mitarbeiterinnen ein Vorbild sein, die es auch so machen wollen.“
Abends, wenn Marlinde schläft, und auch tagsüber, wenn er mit Rani unterwegs ist, füttert er sie mit der Flasche. Das sei schon eine Herausforderung, immer eine sterilisierte Flasche, abgekochtes Wasser und vorportioniertes Milchpulver bereit zu haben, erzählt er. Aber so langsam habe er eine Routine entwickelt.
Er ist froh, nun einfach etwas mit Rani unternehmen zu können, ohne zu überlegen, wie lange es dauern wird. Durch das Stillen sei ja nicht nur das Kind von der Mutter abhängig, sondern auch der Vater, der sich mit dem Baby nie länger als zwei Stunden von ihr entfernen könne.
Der Unterschied
Abgesehen davon findet Anand, dass sich Mutterrolle und Vaterrolle eigentlich nur insofern unterscheiden, als dass es individuelle Unterschiede zwischen Menschen gibt. Er selbst habe einen anderen Humor als Marlinde, beschäftige sich anders mit Rani. Mit dem Geschlecht habe das wenig zu tun.
Auf die Frage, was für ihn ein guter Vater sei, antwortet er dann auch: „Ich kann nur sagen, was für mich gute Eltern sind – nämlich solche, die versuchen, das Bestmögliche für ihr Kind zu tun.“ Man mache sicher 1000 Sachen falsch, aber was zählt, sei ein grundsätzliches Wohlwollen.
Und noch etwas zeichnet seiner Meinung nach gute Eltern aus: Sie sollten in der Lage sein, ihre Beziehung zu pflegen. Er und Marlinde versuchen, einmal die Woche ein „Dinner Date“ zu machen. Wenn Rani größer wird, soll sie dabei von einem der zahlreichen Verwandten betreut werden, die in der Nähe wohnen.
„Paarzeit ist gerade das, was im Alltag am meisten zu kurz kommt“, sagt Anand. Dafür müsse man aktiv sorgen. Leider komme es bei vielen Paaren zur Trennung, sobald Kinder da wären. Weil das eben gar nicht einfach ist.
Immer wieder in unserem Gespräch wendet Anand ein: „Wir haben Glück“ – dass Rani das Flaschentrinken mitmacht, dass sie nachts gut schläft, dass Marlinde zu Hause arbeitet. Jetzt sagt er: „Das ist unser Weg, der für uns funktioniert.“
Die Hoffnung
Er weiß, dass das nicht für alle so machbar ist. Aber er möchte doch auch anderen Mut machen, es zu versuchen. Mit der Flasche zuzufüttern, soweit es möglich ist, um alle Familienmitglieder zu entlasten.
Aber auch, wenn das nicht geht oder nicht gewünscht ist, könnte man die Elternzeit aufteilen: Dann bleibt eben die Mutter die ersten sechs Monate beim Kind und stillt, und der Vater nimmt sich die nächsten sechs Monate frei.
Einen politischen Zwang zur Aufteilung der Elternzeit befürwortet er aber nicht: „Das können sich nicht alle leisten.“
Stattdessen schlägt er vor, mit dem Thema an Schulen zu gehen. All die Kurse rund um Babys nicht nur auf Frauen zuzuschneiden, wie es momentan der Fall sei. Und, das Wichtigste: mehr Väter, die vorleben, dass es möglich ist, länger Elternzeit zu nehmen, damit es sich mehr und mehr normalisiert. Und das vermeintliche Stigma von arbeitenden Rabenmüttern und unmännlichen Vätern möglichst verschwindet.
Erschienen am 24. August 2023 bei Bürgerportal in GL (Fotos: Thomas Merkenich)