Ein Rattern und Surren liegt in der Luft, gelegentlich durchbrochen vom Kreischen einer Stahlsäge. Je weiter man in den Branichtunnel vordringt, desto wärmer wird es. „15, 16 Grad dürften es sein“, schätzt Volker Staudacker von der Bauleitung des Regierungspräsidiums. Das liegt zum einen am Berg selbst – „in Tunneln ist die Temperatur immer recht konstant“. Zum anderen produziert Beton, wenn er trocknet, Wärme. Und schließlich befinden sich neben 40 bis 50 Arbeitern eine Menge Maschinen im Tunnel, die die Temperatur und den Geräuschpegel erhöhen.
Bisher läuft im Branichtunnel alles „im Großen und Ganzen nach Plan“, fasst Bauleiter Ralph Eckerle zusammen. „Bei so großen Projekten gibt es immer kleinere Verzögerungen. Aber Anfang 2016 werden wir voraussichtlich fertig, und mit den angesetzten Kosten von 85 Millionen Euro sieht es auch gut aus.“ Das Bauvorhaben zur Ortsumfahrung Schriesheims umfasst weit mehr als nur den Tunnel: Die Brückenbauwerke Leutershäuser Straße und Schönauer Straße, der Bau der Unterführung der B 3 sowie der OEG und der Straßenbau für die neue L 536 wurden schon 2010 abgeschlossen. „Der Tunnel ist natürlich das Herzstück der Maßnahme“, betont Eckerle.
Bis zu vier Sprengungen am Tag
Am 1. Februar 2012 wurde der Anstich am Westportal mit der ersten symbolischen Sprengung, ausgelöst durch die Tunnelpatin Birgit Ibach-Höfer, Frau des Bürgermeisters von Schriesheim, feierlich begangen. Eineinhalb Jahre später, am 1. August 2013, feierte der Ort den Durchschlag am östlichen Ende. Seitdem ist es ein wenig ruhig geworden um den Branichtunnel. Nicht so auf der Baustelle selbst: Hier wird rund um die Uhr in zwei Schichten gearbeitet. Je nachdem, ob man vom West- oder Ostportal aus in den Tunnel kommt, bietet sich ein ganz unterschiedliches Bild.
Im Westen ist man auf den letzten Metern des Sprengvortriebs, also der Herstellung des Hohlraums für den Tunnel. Nach der Sprengung der oberen zwei Drittel des Querschnitts, die mit dem feierlichen Durchstich abgeschlossen wurde, fördern die Mineure nun das untere Drittel des Gesteins aus dem Berg. Ein Sprengvorgang dauert zwischen drei und vier Stunden. Zunächst bohren die Mineure vier Meter tiefe Löcher ins Gestein, in die der Sprengsatz gesteckt und gezündet wird.Nachdemdas Material mit einem Dumper rausgeschafft wurde, sichern die Arbeiter den entstandenen Hohlraum mit Spritzbeton. Erst dann werden die nächsten vier Meter in Angriff genommen. In der Zeit von 7 bis 20 Uhr schaffen die Mineure bis zu vier Sprengungen am Tag. Spätestens Ende Januar soll der Vortrieb komplett abgeschlossen sein.
Am Ostportal liegen bereits die Bodenplatten in dem Bereich, der in offener Bauweise erstellt wird. Auch die ersten Wandblöcke sind schon betoniert. „Im offenen Bereich wird der Tunnel wie ein Haus gebaut: Erst der Boden, dann die Wände und zum Schluss das Dach“, erklärt Ralph Eckerle. Die rechteckigen Tunnelblöcke sind jeweils zehn Meter lang, in der bergmännischen Bauweise sind es zwölf – einen besonderen Grund habe das unterschiedliche Maß nicht, sagt Volker Staudacker auf Nachfrage.
Insgesamt wird der Tunnel aus 157 Blöcken bestehen, 15 davon in der offenen Bauweise. Im bergmännischen Bereich ist der Tunnelquerschnitt rund. „Eine Röhre ist stabiler und hält dem Gewicht des Berges stand“, so Eckerle.
Jetzt eröffnet sich beim Eintritt in die Röhre noch eine andere Welt. „Falls es in den nächsten 20 Minuten kracht, nicht erschrecken, das sind nur die Sprengungen“, warnt Volker Staudacker launig. Vom Ostportal sind sie immerhin ein gutes Stück entfernt. Mit Bauhelm, Neonweste und Gummistiefeln ausgestattet, führen die Bauleiter unter gigantischen Geräten durch in den Tunnel hinein. Es tropft von der Decke. Die Gummistiefel versinken an manchen Stellen bis über die Knöchel im schlammigen Wasser.
Weil der Regen durch das Gestein des Branichs sickert, muss der Hohlraum komplett abgedichtet werden. Von einem Gerüst lassen die Abdichter eine zwei Millimeter dicke Kunststofffolie herunter und verschweißen die Bahnen alle zwei Meter miteinander. Das Wasser aus dem Branich läuft dann hinter der Folie runter in die zuvor verlegte Drainage und wird am Westportal ausgeleitet. Ein gutes Stück des Tunnels ist schon mit der gelben Folie versehen. Als nächstes wird die sogenannte Bewehrung mit Stahlmatten aufgebracht. „Beton kann zwar gut Druck aufnehmen, aber keinen Zug“, erklärt Eckerle. „Deshalb arbeiten wir mit Stahlbeton. Die Bewehrung deckt den kompletten Querschnitt ab und wird vollständig einbetoniert.“
„Vor 20 Jahren hätten Sie nicht hier rein gedurft“
Schließlich kommt der Schalwagen zum Einsatz, ein Ungetüm von sieben Metern Höhe, zehn Metern Breite und zwölf Metern Länge – so lang wie ein Tunnelblock, den der Schalwagen täglich betoniert. Fünf bis sechs Stunden lang muss der flüssige Beton gleichmäßig von unten nach oben aufgefüllt werden und dann aushärten. Der Schalwagen bleibt über Nacht an Ort und Stelle und gibt dem Tunnelgewölbe seine Form. Am nächsten Tag wird er auf Schienen zwölf Meter Richtung Westen geschoben. Zuletzt muss der Beton nachbehandelt werden, damit beim Trocknen keine Risse entstehen: Drei Tage lang verschwindet er hinter einer Folie, darunter angebrachte Schläuche sprühen regelmäßig Wasser auf das Material, um es feucht zu halten.
Der gleiche Prozess findet übrigens, in kleineren Dimensionen, in den beiden Rettungsstollen statt. Einer führt auf 110 Metern direkt zur Talstraße. Der zweite Fluchtweg ist 1200 Meter lang, über mehrere Zugänge alle 300 Meter zu erreichen und endet am Westportal. Im Brandfall wird in den Stollen Überdruck erzeugt, sodass entstehender Rauch in den Tunnel zurückgedrückt wird und die Menschen sicher nach draußen gelangen.
Am östlichsten Zugang des zweiten Stollens, 1200 Meter vor seinem Ende am Westportal, ist es dunkler und noch wärmer als im Tunnel, die Luft scheint zu stehen. „Hier wurde gestern betoniert, und es gibt keine Luftströmung“, klärt Staudacker auf. Die Bergmänner sind nicht zu beneiden. „Die Luft ist sehr staubig, und die Arbeiter sehen kaum Tageslicht“, so Eckerle. Kein Wunder, dass die Bergleute an allerlei tröstlichen Traditionen festhalten. Von einer haben sie inzwischen Abstand genommen: „Vor 20 Jahren hätten Sie gar nicht in den Tunnel gedurft“, schmunzelt Volker Staudacker. „’Frauen im Tunnel bringen Unglück’, haben sie damals gesagt.“
Noch ein gutes Jahr werden die Bergmänner am Innenausbau des Branichtunnels arbeiten, der, apropos Tradition, bis zur Fertigstellung nach seiner Patin „Birgittunnel“ heißt. Rund 140 Blöcke müssen betoniert werden, die Rettungsstollen fertiggestellt, das Fundament gelegt und die Straße aufgebaut. Auch eine Zwischendecke wird eingezogen. In den Hohlraum zwischen Gewölbe und Decke kann im Brandfall Rauch abgesaugt werden. Die Steuerung dieser Maßnahmen erfolgt später vom Betriebsgebäude aus, das ganz zum Schluss am Westportal errichtet wird.
Anfang 2016 soll Eröffnung gefeiert werden
Erst dann beginnt die vierte und letzte Phase des Projekts, der Tunnelausbau. Die Verlegung und Inbetriebnahme der gesamten Technik – Belüftung, Beleuchtung, Tunnelfunk und Videoüberwachung, Lautsprecher, Gas- und Branddetektoren – nimmt ein weiteres Jahr in Anspruch. Sofern der RNZ-Besuch nicht am Ende doch Unglück gebracht hat, können die Schriesheimer also Anfang 2016 den Branichtunnel feierlich eröffnen.
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Foto: Peter Dorn