Ihr Haus war ein Lebenswerk. Alles haben Natália und ihre Eltern von Hand gebaut. Heute parken Busse des Komitees Rio 2016 auf dem ehemaligen Grundstück der Silvas. Über einen Zaun schauen sie auf die glänzende Fensterfront des Medienzentrums im Olympiapark Barra.
Die Stadt Rio de Janeiro hat mit allen Mitteln versucht, die Vila Autódromo zu entfernen. Über 700 Familien lebten hier mit legalen Besitztiteln. Die Präfektur hat ihnen Apartments und Geld angeboten, ist mit psychischem Druck und Gewalt vorgegangen. Doch die Silvas und 19 weitere Familien haben gekämpft. „Wir wollten nur in unserer Gemeinschaft bleiben“, sagt Natália.
Als die Stadt die Olympischen Spiele zugesprochen bekam, versprach sie, bis 2020 sämtliche Favelas Rio de Janeiros zu urbanisieren. Es sollte eines der großen „Legate“ des Megaevents sein, ein Erbe für die Bevölkerung. „Peinlicherweise verschwand das Programm 2014 einfach aus der Liste der Legate“, sagt Orlando Santos Júnior, Urbanismus-Professor an der Staatlichen Universität Rio de Janeiro.
Auch die versprochene Reinigung der Guanabara-Bucht ist zwischen Olympiabewerbung und Wirtschaftskrise auf der Strecke geblieben. Das Wasser ist durch Abwässer und Müll derart verschmutzt, dass das Schwimmen darin strengstens untersagt ist. Jetzt tragen hier die Segler ihre Wettkämpfe aus.
„Die Sozial- und Umweltprogramme fielen der Krise zum Opfer, alle großen Abkommen blieben dagegen unantastbar“, sagt Santos. Der Olympiapark zum Beispiel, für den die Vila Autódromo weichen musste. Dass das nicht notwendig war, zeigt ein Urbanisierungs-Plan, den die Bewohner zusammen mit einer Forschergruppe entwickelt haben.
Santos weiß, warum Bürgermeister Eduardo Paes das Konzept ignoriert hat, obwohl es deutlich billiger war als die Umsiedlung: Barra da Tijuca soll ein Elite-Stadtteil werden. Arme haben da keinen Platz, ließ sich Immobilien-Hai Carvalho Hosken von der britischen Presse zitieren. Seiner gleichnamigen Firma gehört ein großer Teil Barras, und er arbeitet daran, bald das ganze Viertel sein Eigen zu nennen.
Paes steht in Hoskens Schuld, da dieser seine Wahlkampagne großzügig unterstützte. Darum wird Hosken nach den Spielen ein neues Wohnviertel auf dem Gelände des Olympiaparks errichten. Auch das Olympische Dorf gehört ihm. Er verdient schon jetzt Millionen mit dem Verkauf der Luxus-Apartments, die hier entstehen, sobald die Athleten weg sind.
Selbst für den längst überfälligen Ausbau des Busnetzes vor den Olympischen Spielen findet Orlando Santos keine guten Worte: „Aus stadtplanerischer Sicht ist es völlig irrational, Milliarden in ein Transportsystem zu stecken, anstatt Sozialbauten in den riesigen Freiflächen Barras aufzuziehen“, sagt Santos. Doch die Arbeiterklasse müsse ja irgendwie in das Elite-Viertel kommen, um dort ihre Dienste zu verrichten. Dortbleiben dürfe sie nicht: „Die Mittelschicht erträgt das Zusammenleben mit den Armen nicht.“
Santos hält fest: „Megaevents bringen keine Legate. Sie bringen Handel und ordnen die Stadt den großen Wirtschaftsinteressen unter.“
Die Silvas haben sich nicht unterordnen lassen. Jetzt hat die Stadt den 20 verbliebenen Familien kleine, weiß getünchte Häuschen gebaut. Damit die Siedlung zumindest nicht so armselig aussieht.
Erschienen am 3. August in der Printausgabe des Südkuriers – Themen des Tages