Klassisch schwarz oder modisch gemustert, locker gelegt oder fest gesteckt: Kein Stück Stoff birgt so viel Konfliktpotenzial wie das Kopftuch. Politiker, Juristen und Feministen haben sich schon damit beschäftigt, es wurde darüber gestritten, darum gekämpft, dagegen demonstriert. Aber wie denken eigentlich Muslimas selbst über das Kopftuch? Sechs junge Frauen erklären, was sie dazu bewegt oder davon abhält, ihr Haar zu bedecken. Sie erzählen von Kassiererinnen, die sie im Supermarkt nicht begrüßen, und sie fragen sich, wieso Frauen freiwillig in einer Fernsehshow im Harem leben.

> Was bedeutet das Kopftuch für euch?

Hassa: Für mich hat es sehr viele unterschiedliche Bedeutungen. Auf der einen Seite ist es Schutz, auf der anderen Seite Freiheit. Wenn ich mit jemandem spreche, habe ich das Gefühl, als Persönlichkeit wahrgenommen zu werden und nicht primär als Frau. Es ist aber auch Identität – ohne mein Kopftuch würde ich mich nackt fühlen. Und es repräsentiert meinen Glauben.

Meryem: Ich bin vor einem halben Jahr zum Islam konvertiert. Vor zwei Monaten habe ich angefangen, Hijab zu tragen, weil ich damit das Gefühl habe, Gott mehr zu dienen. Außerdem sehen die meisten Männer Frauen als Objekte und behandeln sie entsprechend. Ich fühle mich so geschützter.

> Warum bist du zum Islam konvertiert?

Meryem: Ich habe mich schon immer nach dem Sinn des Lebens gefragt. Letztes Jahr kam ich auf eine neue Schule, habe neue Freunde gefunden, unter anderem muslimische. Dann hab’ ich angefangen, über den Islam zu recherchieren. Und darin habe ich meinen inneren Frieden gefunden.

> Wie reagieren die Menschen auf das Kopftuch? Hat sich in letzter Zeit etwas daran verändert?

Hassa: Es kommt auf das Umfeld an. In der Uni oder in der Schule, wo man persönlichen Kontakt hat, ist es kein großes Problem. Im Dialog baut man Brücken. Aber die Menschen auf der Straße kennen mich nicht. Ich weiß nicht, was in denen vorgeht, wenn sie an mir vorbeigehen und irgendwas vor sich hin murmeln oder den Kopf schütteln, oder wenn im Supermarkt die Kassiererin alle nett begrüßt, nur mich nicht. In letzter Zeit haben sich solche Vorfälle vermehrt.

> Wie ist es mit euch, die kein Kopftuch tragen?

Esma: Ich hab‘s mal getragen. Da war ich zehn. Meine Mutter trägt auch Kopftuch, hat aber damals gemeint: Du bist zu jung; wenn du das trägst, bist du kein Kind mehr. Ich hatte es eine Woche an. Ich fühle mich beobachtet mit Kopftuch. Deswegen habe ich großen Respekt vor Leuten, die mit Kopftuch frei rumlaufen können.

Valmira: Meine Eltern sind Kosovo-Albaner und praktizieren den Islam nicht. Ich bin sozusagen mit 17 „konvertiert“. Aber bei uns sagt man, Frauen, die sich bedecken, haben was zu verstecken (lacht). Der Druck in der Familie hat mich deswegen bis jetzt davon abgehalten. Aber so langsam möchte ich mich bedecken. Ich kann mir auch vorstellen, Chimar (siehe Grafik) und später Nikab zu tragen (zeigt ein Foto von sich mit Nikab).

Esma: Auf dem Bild kann ich dich gar nicht erkennen.

> Warum möchtest du dich komplett verschleiern?

Valmira: Ich finde es schön. Außerdem glaube ich, die Männer achten auch auf das Gesicht. Aber ich würde das nur machen, wenn ich verheiratet bin und Unterstützung von meinem Mann habe. Momentan wäre das keine gute Idee. Dann müsste ich, glaube ich, von zu Hause ausziehen.

> Wie seht ihr anderen die Vollverschleierung?

Hassa: Ich glaube, damit kann man in Deutschland nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Da sehe ich den Sinn und Zweck einer Bedeckung der Frau nicht mehr. Ich habe auch Probleme damit, wenn ich eine Person vor mir habe, die ich nicht identifizieren kann. Aber ich respektiere es, denn es ist ein Teil meines Glaubens, und deswegen bin ich überzeugt, dass man es nicht verbieten darf.

Gizem: Im Koran gibt es keine eindeutige Regelung, wie die Kleidung der Frau auszusehen hat. Es heißt, dass sie ihre Reizplätze verdecken soll. Ich würde auch gerne ein Kopftuch tragen, nur fühle ich mich noch nicht bereit dazu. Das heißt aber nicht, dass ich meine Religion nicht ausübe. Ich habe es von meinen Eltern nicht so kennengelernt, deswegen muss ich mir das jetzt selbst aneignen.

> Warum möchtest du gerne Kopftuch tragen?

Gizem: Ich möchte anders wahrgenommen werden, nicht nur als weibliche Person, sondern als Mensch. Und ich möchte zeigen, dass ich an etwas glaube. Aber da werden viele Fragen auf mich zukommen. Und wie ich mit diesen Fragen umgehe, weiß ich noch nicht. Ich brauche viel mehr Wissen, um richtig erklären zu können, warum ich es trage.

> Wer kann denn erklären, warum die Frau im Islam das Kopftuch tragen soll?

Hassa: Es gibt viele verschiedene Gründe dafür. Die Antwort wird für jede von uns anders ausfallen. Für mich ist es in erster Linie, um die weiblichen Reize nicht öffentlich zur Schau zu stellen. Zweitens, um die Zugehörigkeit zur Religion deutlich zu machen.

> Was gebt ihr zurück, wenn jemand zu euch sagt, ihr seid unterdrückt?

Hassa: Ich lache (die anderen nicken). Wer soll mich denn unterdrücken? Das Kopftuch ist für mich Freiheit.

Gizem: Ich habe eher das Problem, dass ich wenig dabei unterstützt werde, ein Kopftuch zu tragen, sei es gesellschaftlich, in der Arbeit, durch meine Familie oder durch meinen Bekanntenkreis.

Hassa: Wenn ich mir angucke, was gerade im Fernsehen läuft, „Germany’s Next Topmodel“, „Der Bachelor“: Ist das Unabhängigkeit, wenn sich junge Mädchen nur über ihren Körper definieren, oder wenn Frauen freiwillig in eine Show gehen, wo sie im Grunde in einem Harem leben? Mir fällt auch im Sommer auf der Straße auf, dass Männer immer mehr anhaben als Frauen. Warum stellen eigentlich Männer ihre Reize nicht zur Verfügung?

> Hassa und Meryem, ihr seid beide geschminkt. Widerspricht das nicht dem Sinn des Kopftuchs, die Reize zu verdecken?

Hassa: Eigentlich stimmt das schon. Aber man muss bedenken, dass man nicht alles perfekt machen kann. Auch Gott erwartet von uns nicht, dass wir uns immer fehlerlos verhalten, sondern dass wir uns bemühen. Ich persönliche schminke mich zwar, aber sehr leicht. Ich versuche mit der Schminke nicht aufzufallen.

Meryem: Ich schminke mich nur bei besonderen Anlässen wie heute. Sonst eigentlich nicht, weil ich vor dem Beten eine Waschung mache.

Dilek: Ich sehe manchmal Kopftuch-Trägerinnen mit Lederhose und so einem Absatz (hält Daumen und Zeigefinger weit auseinander). Dann denke ich erst mal, hm, passt nicht wirklich. Aber dann überlege ich: Wer bin ich, darüber zu urteilen? Das ist dasselbe, wie wenn jemand über das Kopftuch von anderen urteilt. Ich denke, jeder muss die Rechenschaft sich selbst gegenüber ablegen.

> Feminismus und Islam, wie passt das zusammen?

Hassa: Ich glaube, dass der Islam keinen Feminismus braucht. Die Gleichstellung von Mann und Frau ist in unserer Religion fest verankert, die Rolle der Frau ist sehr heilig.

Dilek: Es heißt im Islam: Das Paradies liegt unter den Füßen der Mütter.

Hassa: Es passieren ja schlimme Dinge, wie die so genannten „Ehrenmorde“, aber das ist im Islam absolut verboten. Viele Bräuche sind kulturell verankert und stehen oft im Widerspruch zur Religion. Aber solche Handlungen werden auf den Islam reduziert, und dann heißt es, die Muslime machen das und das. Aber sie machen das nicht als Muslime. Wenn solche Gräueltaten passieren, dann von Menschen, die ihre Religion nicht kennen.

Gizem: Dadurch entsteht der Generalverdacht. Und darunter leider wir.

 

HINTERGRUND

Eigentlich sollten unsere Gesprächspartnerinnen nicht nur im Text im Mittelpunkt der ZeitJung-Seite stehen. Als sie zu uns in die Redaktion kamen, entstanden schöne Fotos von fünf der sechs jungen Frauen – eine wollte von vornherein nicht aufs Bild. Das anschließende Gespräch war entspannt, viele Themen wurden angeschnitten und diskutiert. Aber als die Frauen schließlich den Text lasen, bekamen sie Angst vor ihrem eigenen Mut. Davor, in eine falsche Ecke gestellt zu werden, noch mehr Fragen gestellt zu bekommen als ohnehin schon oder Probleme in der Arbeit zu kriegen. Deswegen gibt es keine Fotos unserer Gesprächspartnerinnen auf dieser Seite, und deswegen sind sie nicht mit vollem Namen genannt. Dass das Thema „Kopftuch“ sensibel ist, war klar. Aber dass junge Muslimas Angst haben, offen darüber zu sprechen, weil sie die Reaktionen fürchten, das ist traurig. Da erscheint Gizems Schlusswort noch einmal in einem klareren Licht: Unter dem Generalverdacht des Extremismus leiden alle.

 

[box type=“info“]UNSERE GESPRÄCHSPARTNERINNEN

Sie sind zwischen 17 und 23 Jahre alt, gehören – schon immer oder seit Kurzem – dem Islam an und haben sehr unterschiedliche Meinungen dazu. Zwei von ihnen tragen Kopftuch, die anderen vier würden es gerne, bald oder irgendwann in der Zukunft. Einigen steht dabei die eigene Familie im Weg.

> Hassa ist 20 Jahre alt und studiert in Heidelberg Jura. Ihre Familie stammt aus der Türkei. Sie selbst hat die doppelte Staatsbürgerschaft. Die Eltern haben ihr nie gesagt, dass sie Kopftuch tragen soll. Sie hat sich mit 16 dazu entschlossen.

> Meryems Mutter ist Polin, ihr Vater Serbe. Die 17-Jährige ist in Heidelberg aufgewachsen. Vor einem halben Jahr ist die Schülerin zum Islam konvertiert, seit zwei Monaten trägt sie den Hijab. Ihre Familie war anfangs wenig begeistert.

> Esma, 20, macht eine Ausbildung in Heidelberg. Wenn sie älter ist, möchte die türkische Staatsbürgerin irgendwann Kopftuch tragen. Im Moment würde sie sich damit nicht wohlfühlen.

> Valmiras Eltern sind Kosovo-Albaner. Ihre ganze Kindheit über wusste die 21-Jährige nichts über den Islam. Erst mit 16 entdeckte sie ihre Religion für sich, aber die Familie ist dagegen, dass sie sich verschleiert.

> Gizem ist 23 Jahre alt und arbeitet im öffentlichen Dienst. Ihre Eltern stammen aus der Türkei, haben aber deutsche Pässe; sie selbst ist in Heidelberg zur Welt gekommen. Gizem würde gerne Kopftuch tragen, traut sich aber noch nicht.

> Dilek, 22, arbeitet ebenfalls im öffentlichen Dienst. Ihre Eltern kamen vor ihrer Geburt aus der Türkei nach Heidelberg und haben die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Auch ihr fehlt der Mut zum Kopftuchtragen.[/box]

Erschienen am 5. März 2015 auf RNZ Online

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