Musik war seine Waffe im Kampf für den Frieden, sagt Aeham Ahmad. Er sitzt am Flügel des katholischen Pfarrsaals in Schildgen, blinzelt ins Scheinwerferlicht. Es ist Freitagabend. Eingeladen hat das ökumenische Begegnungs-Café Himmel un Ääd in Kooperation mit dem Katholischen Bildungswerk Rhein-Berg und den örtlichen Flüchtlingsinitiativen „Willkommen in Schildgen“ sowie „Mobile Nachbarn“. Moderatorin Julitta Münch führt durch den Abend.

Dass der syrische Pianist hier ein Benefizkonzert gibt, ist nicht selbstverständlich. Bis vor zwei Jahren hat er sein Klavier jeden Tag in die Trümmer des palästinensischen Flüchtlingscamps Jarmuk in Damaskus geschoben und fünf Stunden lang gespielt. Die Bilder sind durch die Medien gegangen. Man merkt ihm nicht an, dass er inzwischen international bekannt ist. Nach jedem Applaus verbeugt er sich mit demütig gesenktem Kopf, als könne er nicht fassen, dass das Publikum für ihn klatscht.

Dünn, beinahe verletzlich sieht er aus, wenn er neben dem Klavier steht. Doch sobald seine Finger über die Tasten fliegen, wächst er. Seine hohe, kehlige Stimme fährt unter die Haut. Zuweilen nur eine Melodie, klagend, berührend. Dann singt Ahmad auf Arabisch. Man versteht trotzdem, man fühlt, worum es geht. Auch, weil seine Musik viele Klassikelemente enthält, Beethoven, Mozart.

Was unverstanden bleibt, erklärt Ahmad nach jedem Stück auf Englisch. Eines handelt von Abu Mahmoud, einem 70-jährigen Mann, der, wie so viele in Syrien, von der Wasserversorgung abgeschnitten ist und täglich schwere Eimer vom Brunnen nach Hause tragen muss. „Für mich war das kein Problem, aber ich denke an die Kinder, an die alten Menschen“, sagt Ahmad. „In Syrien ist ein normales Leben kaum noch möglich. Genau wie im Irak, in Afghanistan, aber auch in Afrika. Darum kommen die Menschen hierher. Darum riskieren sie ihr Leben und zahlen viel Geld für die Flucht.“

Ahmad, der Friedenskämpfer. Zwischen den Stücken platziert er immer wieder politische Botschaften. Erinnert daran, dass nicht nur der Islamische Staat das syrische Volk massakriert, sondern auch und vor allem Baschar al Assad. Mahnt an, dass der Westen mit Waffenverkäufen seinen Teil zum Krieg beiträgt.

Im Gespräch mit Julitta Münch wird er aber auch persönlich. Auf die Frage, wann er entschied, zu fliehen, sagt er: „Es gab mehrere Momente. Der erste war, als ich in Jarmuk auf der Straße spielte und ein Scharfschütze des IS mein Klavier zerstörte. Der zweite, als ich keine Milch für meinen kleinen Sohn fand und ihm Gras zu essen geben musste. Und der dritte und letzte Moment war, als ein Freund von mir starb.“

In den Pausen verschwindet Ahmad nicht hinter den Kulissen, sondern unterhält sich mit Gästen oder albert mit den Syrern herum, die heute Abend gekommen sind. Einige kennt er, aus Syrien, von der Flucht, sogar eine ehemalige Musik-Schülerin von ihm ist hier. Die beiden umarmen sich herzlich, die junge Frau weint, als er das erste Stück über das kriegszerstörte Damaskus anstimmt. „Das ist meine Stadt“, sagt sie später. „Wir sind gleich nach den ersten Bombenangriffen geflohen, es war schrecklich. Ich weiß nicht, wie er noch zwei Jahre dortbleiben konnte.“

Spontan versammelt Ahmad alle Syrer um das Klavier und stimmt „Mautini“ an, meine Heimat, ein im ganzen arabischen Raum bekanntes Lied. Die Flüchtlinge legen sich die Arme um die Schultern und singen inbrünstig mit. Wieder kann man als Zuhörer fühlen, was die Musik bedeutet.

Das scheint auch andersherum zu funktionieren, als am Ende Peter Müller auf die Bühne kommt und zusammen mit einem Musikerkollegen den kölschen „Stammbaum“ spielt. In der letzten Pause hatten die Organisatoren Textzettel verteilt, und so fallen jetzt auch die Syrer mit ein: „Su simmer all he hinjekumme, mir sprechen hück all dieselve Sproch.“

Erschienen am 27. Juli 2017 in der Print-Ausgabe des Kölner Stadt-Anzeigers.

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Foto: Johannes Schubmehl