Seit zwei Tagen ist es kalt in Rio. Kalt, das heißt hier 18 bis 20 Grad. Das Problem ist: Welche Temperatur auch immer draußen herrscht, die Brasilianer lieben es, ihre Klimaanlagen auf Hochbetrieb laufen zu lassen. Draußen im Wind sitzen oder drinnen im Gebläse? Egal wo, ich friere.

Heute habe ich mein 50 Reais teures Abendessen runtergeschlungen, um der Kälte im Restaurant zu entfliehen. Umgerechnet sind das 15 Euro, für hiesige Verhältnisse ist das ein Vermögen. Für meinen Geldbeutel definitiv nichts, was ich mir täglich erlauben kann. Ich freute mich schon, dass es im Bus zur Schwimmhalle angenehm warm war. Da drehte der Fahrer die Klimaanlage an.

Neben ihrem Hang zur totalen Kühlung haben die Brasilianer noch ein paar andere kuriose Angewohnheiten. Da wir gerade übers Essen reden: Zur Mittagszeit muss man sich in der Toilette immer an ein paar Zähne putzenden Frauen vorbeidrücken. Die Brasilianer legen extrem viel Wert auf Hygiene. „Nach jedem Essen Zähneputzen“ ist hier nicht nur ein Werbespruch.

Geduscht wird mindestens einmal am Tag. Fällt einem Baby der Schnuller auf den Boden, kochen seine Eltern ihn ab. Obst und Gemüse halten die Brasilianer nicht einfach kurz unters Wasser, sie schrubben es mit Schwamm und Spülmittel. Salat desinfizieren sie vor dem Verzehr, zum Beispiel mit Jod. Besser so, bei den Mengen an Pestiziden, die die Landwirtschaft in Südamerika verwendet.

Ja, bei allem Chaos haben die Menschen hier eine sehr ordentliche Seite. Die zeigt sich insbesondere in Warteschlangen. Nicht nur im Supermarkt reihen sich die Leute ordentlich hintereinander. Vor dem Aufzug stellen sie sich in einer Reihe auf, und selbst an der Bushaltestelle gilt es, eine Ordnung einzuhalten. Wer zuerst kommt, steigt zuerst ein. Kein unwichtiges Kriterium, da die meisten Busse sehr voll werden. Wer vorne steht, sichert sich seinen Sitzplatz.

Auch im Privaten sind die Menschen manchmal förmlicher, als man erwartet. Bevor jemand die Wohnung eines anderen betritt, und das gilt auch für gute Freunde, bittet er höflich um Erlaubnis: „Dá licença.“ Der andere antwortet mit „Fique à vontade“, mach es dir bequem.

Apropos Förmlichkeit: Wer glaubt, Deutschland sei das bürokratischste Land der Welt, der war noch nicht in Brasilien. Mein Korrespondentenvisum hat mich, glaube ich, meine ersten weißen Haare gekostet. Jedes Dokument musste ich zigfach beglaubigen und überbeglaubigen lassen.

Selbst im Schnellrestaurant hat alles seine Ordnung. Neulich stand ich an der Theke eines Self-Service-Cafés, gleich vor mir zwei Mitarbeiterinnen. Die eine wischte die Arbeitsfläche, die andere belegte ein Brot, ganz gemütlich. Schaute mich an, lächelte, ich lächelte zurück. Dachte, dann wird sie mich ja bedienen, wenn sie das Brot fertig hat. Nein: Sie begann, die Kuchen in der Vitrine zu sortieren. Ich fragte: „Kann ich bestellen?“ Sie: „Du musst erst an der Kasse bezahlen, Liebchen. Dann kannst du deine Bestellung hier abholen.“

Erschienen am 13. August 2016 auf RNZ Online

Foto: Marcos Santos/USP Imagens