Sprinter oder Entertainer? Usain Bolt ist beides. In erster Linie aber Sprinter, sagt er am Montagabend auf der Pressekonferenz des jamaikanischen Olympiateams. Oder, treffender gesagt, auf der Show, die Hauptsponsor Puma rund um die Lauflegende inszeniert hat.

Es ist sicher kein Zufall, dass die Veranstaltung im Theatersaal der „Cidade das Artes“, Stadt der Künste, einem monumentalen Betonbau im Herzen von Barra da Tijuca, über die Bühne geht. Entsprechend erwartet Bolt bei seinem großen Auftritt Applaus, als hätte er nicht Journalisten, sondern Fans vor sich. „Das war schwach“, sagt er nach seinem Einmarsch, „versucht es nochmal.“ Vielleicht doch mehr Entertainer als Sprinter?

„Ich versuche die Dinge anders zu machen als andere“, sagt Bolt, „und die Leute mögen es.“ Er selber genießt es ganz offensichtlich, im Rampenlicht zu stehen. Klar: „Lightning Bolt“ ist sowas wie eine lebende Legende. Sechs Olympiasiege, elf Weltmeistertitel, Weltrekorde in der 4-x-100-Meter-Staffel, im 100- und im 200-Meter-Lauf.

Nach seinem 30. Geburtstag am 21. August will der Jamaikaner seiner Karriere ein Ende setzen. „Das sind definitiv die letzten Olympischen Spiele – ich habe genug getan“, sagt er entspannt vor Hunderten Journalisten aus aller Welt. Er habe sich immer wieder bewiesen, und er freue sich darauf, das jetzt noch einmal zu tun.

Um ein Haar hätte es nicht geklappt: Im Juli musste er die Olympia-Trials wegen einer Oberschenkel-Verletzung abbrechen. „Es war nicht die perfekte Saison für mich, aber mir geht es viel besser, mein Trainer ist zufrieden mit mir“, sagt er. Er selbst hat sich wieder hohe Ziele gesetzt: Den eigenen Weltrekord über 200 Meter will er brechen, unter 19 Sekunden – also mehr als 20 Hundertstel Sekunden schneller als bei der Weltmeisterschaft 2009 in Berlin.

„Ich bin bei jedem Rennen nervös“, gibt Bolt im Plauderton zu. Es gehe nicht nur um Schnelligkeit, sagt er: „It’s all about the mental game – es geht um das mentale Spiel. Wenn du auf die letzten 30 Meter kommst und die anderen Läufer neben dir siehst, musst du einen kühlen Kopf bewahren.“

Leichtathletik ist Usain Bolts Leben – und er liebt es, sagt er. Jetzt muss er sich etwas Neues überlegen. Er hat auch schon eine Idee: Schauspieler. Kein Zweifel, dass ihm das liegen würde, bei der Show, die der Sportler in Rio abliefert.

Noch jemand nutzt die Chance für eine Show: „Ich habe eigentlich gar keine Frage“, sagt ein norwegischer Fernsehjournalist, als die Stunde der Journalisten gekommen ist, „ich wollte nur sagen, wie toll ich dich finde!“ Doch nicht nur das, er rappt einen selbstgedichteten Song für Bolt. Der ist begeistert, bittet den jungen Mann, seinen kurzen Auftritt zu wiederholen, um ihn mit dem Handy zu filmen.

Immer wieder holt Bolt sein Handy raus und knipst ein Selfie nach dem anderen. Selbst beim Posen für die Fernsehkameras und Fotoapparate nach dem Gespräch. Doch das soll noch nicht das Ende der Show sein. Laute Trommelschläge ertönen, eine Samba-Gruppe hält Einzug. Ein gutes Dutzend knapp bekleideter Tänzerinnen umringt Usain Bolt. Klar, dass der gleich wieder sein Handy zückt und sich selbst mit den Brasilianerinnen fotografiert.

Gut gelaunt lässt er sich von den Sambistas zum Tanzen einspannen. Und schlägt sich gar nicht mal so schlecht beim schnellen Sambaschritt. Ob er sich das wohl im Fernsehen abgeschaut hat? Bolt hat sich nämlich eigens ein TV-Gerät für seine Unterkunft in Rio gekauft. „Ich bin eigentlich die ganze Zeit in meinem Zimmer“, sagt er. „Ohne Fernseher wäre mir langweilig geworden.“

Wer weiß, vielleicht nutzt er ja die Chance nach seinen Wettkämpfen, auch mal das Zimmer zu verlassen und in Rios wahre Sambawelt einzutauchen. Usain Bolt tritt am Samstag, Dienstag und Donnerstag im Olympiastadion an. Ob er seine Karriere dann tatsächlich als lebende Legende beendet, wird sich zeigen. Als Entertainer gibt er sich jedenfalls schon mal in bester Form.

Die Sambagruppe erfreut nach dem showreifen Abgang des Sportlers noch die Journalisten im Foyer der Cidade das Artes. Es ist ein wenig zum Fremdschämen. Die Kameras verschlingen förmlich die nackte Haut der Tänzerinnen, deren Brüste beinahe aus den knappen Glitzertops herausfallen. So werden Klischees reproduziert und in der Welt verbreitet.

Erschienen am 10. August 2016 in der Freien Presse