„Raus, raus, raus“, schreit eine Männerstimme hinter mir, ich drehe mich erschrocken um. „Raus aus Whatsapp, rein in die Realität! Probier meine Esfiha, und du vergisst dein Handy!“ Der Verkäufer im langen, weißen Hemd versteht es, seine arabischen Snacks an den Mann zu bringen. Das muss er auch, denn die Konkurrenz ist groß: Der Strand von Ipanema ist ein Freiluft-Shoppingcenter.

Wer hier einen Badetag verbringt, muss rein gar nichts mitbringen. Keinen Bikini dabei? Kein Problem. Alle paar Minuten spaziert ein Verkäufer mit einem Sonnenschirm vorbei, randvoll behangen mit den neuesten Modellen brasilianischer Strandmode. Die ist bekanntlich knapp – der weibliche Po spielt hier eine besondere Rolle. Aber auch die Männer zeigen in engen Badehosen, was sie haben.

Weiter geht’s. Handtuch vergessen? Gut, dann kann sich der europäische Urlauber gleich beim nächsten Verkäufer eine „Canga“ besorgen, ein dünnes Baumwolltuch, erhältlich in den verschiedensten Farben und Mustern. Damit wären schon mal zwei essenzielle „Gringo-Fallen“ umgangen: das Hotel-Handtuch und der „Windelpopo“ (so sehen die Brasilianer das deutsche Bikinihöschen). Schwieriger wird es bei der Hautfarbe. Wer jetzt meint, schnellstmöglich braun werden zu müssen: Lieber auf den nächsten Verkäufer hören, der dem Gringo die 50er-Sonnencreme anpreist.

In der gnadenlosen Mittagssonne empfiehlt sich für hellhäutige Europäer außerdem ein Sonnenschirm. Den gibt es ebenso wie Stühle und eisgekühlte Getränke an den Buden, die den Strand säumen und in „Zonen“ aufteilen. Inklusive Service am Platz.

Der fehlt allerdings auch ohne Schirmmiete nicht. „Alô, alô, você me chamou, hast du mich gerufen?“ Der Getränkeverkäufer kommt immer zur rechten Zeit. Auch beim Essen fehlt es nicht an Auswahl: gegrillter Käse, ein arabischer Snack oder Garnelen am Spieß? Ein alter Mann zieht einen schweren Wagen durch den Sand. „Milho“, ruft er mit dünner Stimme. Er braucht keine Extra-Werbung, so viel Arbeit tut sich sonst keiner an. Wo er sein Gefährt abstellt, gibt es frisch gekochte Maiskolben mit Butter und Salz auf die Hand.

Zwei Männer sorgen für einen kurzen Schattenmoment, sie halten ein besticktes Tischtuch zwischen sich aufgespannt. Auch Hängematten gibt es am Strand zu kaufen, Sonnenbrillen, Schmuck, Plastikbälle, Sandeimer, Selfie-Sticks, Hüte, …

Das einzige, was die Cariocas, die Einwohner von Rio, am Strand noch lieber machen als Shoppen, ist Fußballspielen. Alle paar Meter stehen sie in kleinen Kreisen zusammen und lassen die Bälle tanzen. Mit den Füßen, dem Kopf, der Brust oder auch mal dem Po.

Bei Brasiliens Nationalsport sind alle dabei: Männer, Frauen, Schwarze, Weiße, Junge, Alte. Überhaupt ist der Strand der einzige Platz in Rio, den alle Ethnien und Schichten miteinander teilen. „Nur hier fühle ich mich als Teil der Stadt“, sagt eine junge Frau aus der Favela Cantagalo.

Der Strand als Ort gelebter Demokratie? Beinahe. Mal abgesehen davon, dass sich seine Besucher fast ausschließlich von dunkelhäutigen Verkäufern bedienen lassen.

Erschienen am 18. Juli 2016 auf RNZ Online