Fee Krämer erzählt mit ganzem Körpereinsatz. Reißt die Augen auf, lehnt sich quer über den Tisch, fährt mit den Händen durch die Luft. Die 31-Jährige steckt voller Energie – und voller Geschichten. Sie hat früh angefangen, sich damit vollzusaugen: Als Kind war sie Stammkundin der Gemeindebücherei in Leutershausen. Kürzlich war sie dort wieder zu Gast. Diesmal allerdings nicht zum Leihen, sondern zum Lesen. Im Herbst hat Krämer in Berlin ihr erstes Kinderbuch veröffentlicht: „Jette erst recht!“.

„Ein Mädchenbuch? Das hat mich schockiert!“

„Es war sehr schön, in Hirschberg zu lesen“, sagt Krämer, „besonders in der Leutershausener Grundschule, wo ich selber hingegangen bin.“ Als Kind wühlte sich Fee Krämer quer durch die Regale der Bücherei. Am liebsten las sie Geschichten, in denen Kinder Abenteuer bestehen müssen, Kriegs- oder Nachkriegsliteratur: „Furchtbare Bücher“, sagt Krämer, „aber die haben mich immer fasziniert.“ Gudrun Pausewangs „Die Wolke“ war dabei, oder „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ von Judith Kerr.

Dadurch, dass sie so viel las, fing Krämer auch früh an, selber zu erzählen. „Meine Geschichten waren aber weniger traumatisch“, sagt Krämer und lacht. Als Einzelkind erzählte sie sich selbst, was sie sich ausgedacht hatte, oder ihrer Katze oder der Mutter. Da saß sie dann in ihrem Kinderzimmer, zwischen der elektrischen Eisenbahn und einer großen Kiste voller Legosteine, und erzählte ihre Geschichten. Dass die Spielzeugwelt heute immer strikter in Mädchen- und Jungssachen getrennt wird, findet Krämer „gruselig“.

Das musste sie auch in ihrer Arbeit erfahren: Sie habe niemals daran gedacht, ein Mädchenbuch zu schreiben. „Für mich war das die Geschichte von Jette, und die Geschichte von Konrad, ihrem besten Freund, und von Hermann, ihrer Ratte, und von Papa, ihrem Papa“, sagt Fee Krämer. Hinter jede Figur setzt sie mit ihrer Stimme ein Ausrufezeichen. Aber da hatte sie die Rechnung ohne den Verlag gemacht: Sie habe aus Sicht eines Mädchens geschrieben, in Ich-Perspektive – damit könnten sich nur Mädchen identifizieren. Krämer schüttelt den Kopf, eine Haarsträhne löst sich aus dem Zopf: „Das hat mich schockiert!“ Zusammen mit ihrer Lektorin kämpfte sie dafür, dass das Buch zumindest kein rosa Cover bekam. „Mein Vorname verleitet ja dazu zu sagen: Da können wir noch ein bisschen Glitzer draufschmeißen.“ Sie richtet sich auf, wirft die Hände in die Luft. Jedes Mal, wenn sie aus „Jette“ lese, merke sie: „Es ist auch Jungenbuch. Es ist Kinderbuch, Punkt!“

Obwohl sie schon so früh anfing, sich Geschichten auszudenken, schlug Krämer erst mal einen anderen Weg ein. Studierte Grundschullehramt, absolvierte ein Referendariat in Heidelberg. Das war ihr aber nicht genug. Sie bekam ein Praktikum bei GEOlino in Hamburg. Fachartikel für Kinder schreiben, das lag ihr.

Hätte Gruner+Jahr sie übernommen, gäbe es heute vielleicht keine „Jette“. So aber zog Krämer weiter nach Berlin. Ihr Freund wohnte da bereits seit Jahren, außerdem war ihr klar: „Ich will nicht Lehrer sein, ich will Inhalte für Kinder machen – in welcher Form auch immer.“

Sie landete bei den Cornelsen Schulbuchverlagen. Aus dem Volontariat dort habe sie viel mitgenommen, sagt Krämer, weggegangen ist sie trotzdem: „Cornelsen ist ein großes Schiff, ich fühlte mich eher als Surfer. Ich wollte mehr Abenteuer haben.“

Sie bekam die Chance, an einem Autoren-Masterclass-Programm bei der Akademie für Kindermedien teilzunehmen. „Das war mein Schubs aus dem Nest“, sagt Krämer. Zum ersten Mal sah sie sich selbst als Autorin. In den Workshops entstand „Jette“ – aus einer Schreibaufgabe: Die Teilnehmer sollten sich eine Familiengeschichte ausdenken, in der ein Junge vorkommt, ein Mädchen, und jemand sollte neu hinzukommen.

Eigentlich war sie mit einer ganz anderen Idee in das Programm gegangen. Die Geschichte schlummert noch, verrät sie und senkt geheimnisvoll die Stimme: „Es geht um einen Jungen, der auf der Suche nach seinem Großvater ist.“

Im Moment feilt sie aber erst mal am zweiten Jette-Band: „Jette oder nie!“ soll am 25. August erscheinen. Montags, dienstags und mittwochs arbeitet sie bei Ludinc, einer kleinen Firma, die digitale Lernspiele herstellt. Donnerstag und Freitag sind ihre Schreibtage. Irgendwann hofft sie, von ihren Büchern leben zu können. Sollte es nicht klappen, sei das nicht schlimm: „Mein Job ist super spannend.“

Beides miteinander zu verbinden und transmediale Geschichten für Kinder zu schreiben, könnte sie sich auch gut vorstellen. Aber im Moment seien die Menschen noch nicht bereit, dafür Geld zu bezahlen: „Ein Buch kostet 10,99 Euro, eine Kinderbuch-App 2,99 Euro, obwohl da so viel mehr Geld reingeflossen ist“, sagt Krämer. Und: „Ich bin bereit, wenn die anderen bereit sind, aber ich will nicht der Vorreiter sein. Dafür hänge ich zu sehr an Geschichten, ich will einfach erzählen.“

Krämer kichert, wenn sie an ihre Jugend in Hirschberg denkt

Trotz der zwei Jobs ist sie häufig in Hirschberg. Hier hat sie nicht nur ihre Familie, sondern auch alte Freunde. „Ich bin wirklich gerne hier“, sagt Krämer. Sie genieße das Dorfleben, aber wenn sie wieder in der Stadt sei, fehle es ihr nicht, sagt sie und lacht. Vielleicht, wenn irgendwann Kinder ins Spiel kommen: „Dann denke ich vielleicht, ich will nicht in einen versifften Park, oder ich will mal raus, ohne 45 Minuten mit der S-Bahn zu fahren.“

Apropos Bahnfahren: Krämer kichert, wenn sie an ihre Jugend in Hirschberg denkt. Am Wochenende fuhr die OEG nur bis 1 Uhr nachts, und dann erst wieder um 5 Uhr morgens. „Die Zeit mit 15 war schlimm.“ Heute genießt sie die Freiheit und das riesige Kulturangebot in Berlin.

Das einzige, was wirklich fehle, sei die Familie. Und die kommt zum Glück inzwischen auch zu ihr: Krämers Mutter hat eine kleine Wohnung in der Hauptstadt. „Zuhause ist für mich inzwischen Berlin, sagt Krämer, „Hirschberg ist Heimat.“

Erschienen am 22. Januar 2016 auf RNZ Online

Diesen Artikel gibt es hier auch als PDF

Foto: Peter Dorn