Wie beschreibt man das, was derzeit an den Grenzen zu Europa geschieht? Wörter wie „Flüchtlingsströme“, „Flüchtlingswelle“ oder „Flut an Flüchtlingen“ sind so sehr Bestandteil des Vokabulars der täglichen Nachrichten geworden, dass häufig vernachlässigt wird, wie problematisch sie sind.

Der Grund liegt in der Sprache selbst: Sie ist mehr als eine Aneinanderreihung von Lauten oder Buchstaben. Durch die Wahl der Wörter wird immer auch eine Bewertung abgegeben, sagt Professor Jörg Riecke, Sprachwissenschaftler am Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg. Dadurch könne Sprache auch gefährlich werden.

> Was lösen Wörter wie Flüchtlingsstrom, Flüchtlingsflut oder Flüchtlingswelle in den Köpfen der Menschen aus?

Wenn wir uns etwas nur schwer vorstellen können, versuchen wir, es uns durch Vergleiche, oft aus der Natur, verständlicher zu machen. „Ströme“, „Fluten“ oder auch „Wellen“ in Verbindung mit Flüchtlingen erzeugen Bilder von einer auf uns zukommenden Menschenmenge, deren Ausmaß wir nicht überblicken können. Das trifft ja im Moment auch durchaus zu.

> Die einen sprechen von Asylanten, die anderen von Asyl suchenden Menschen. Wie beeinflusst Sprache politisches Denken?

Mit Hilfe der Sprache erschließen wir uns die Welt, durch die Wahl der Wörter geben wir unsere Ansichten zu erkennen und beeinflussen zugleich das Denken anderer Menschen – im Alltag und in der Politik. Ob von „Wehrdienst“ oder „Kriegsdienst“, „entlassen“ oder „freisetzen“, von „Freitod“ oder „Selbstmord“ gesprochen wird: Immer zeigt sich dabei die Wertung durch die Sprecher.

> Wann wird Sprache gefährlich?

Gefährlich wird diese Eigenschaft der Sprache dann, wenn real existierende Ängste durch sprachliche Bilder noch verstärkt werden sollen, etwa – um beim Thema zu bleiben – wenn Nicolas Sarkozy darauf hinweist, dass es bei einem Wasserrohrbruch die Aufgabe des Installateurs sei, das Rohr zu flicken und nicht, das Wasser gleichmäßig im Haus zu verteilen. So ein Bild ist völlig unangemessen und gefährlich – nicht zuletzt deshalb, weil es so vernünftig klingt. Eine ganz andere Perspektive würde dagegen ein Wort wie „Flüchtlingsdrama“ eröffnen.

> Der Auftrag an die Medien lautet, objektiv zu berichten. Wie schätzen Sie die bisherige Flüchtlingsdiskussion in Zeitung, Fernsehen und Radio ein?

Objektive Berichterstattung kann immer nur angestrebt werden, ist aber letztlich gar nicht möglich, weil wir die Dinge eben nur mit Hilfe der Sprache – und damit wertend – wiedergeben können. Meiner Ansicht nach sind die Medien in Deutschland im Großen und Ganzen bisher so gut wie möglich mit diesem Thema umgegangen.

> Noch einmal zurück zu Flüchtlingsstrom und Flüchtlingswelle. Was können die Medien stattdessen sagen und schreiben?

Auch wenn Ausdrücke wie „Flüchtlingsstrom“, „Flüchtlingsflut“ und „Flüchtlingswelle“ nicht schon von sich aus bedenklich sind, so können sie in einer sensiblen politischen Situation zusätzliche Ängste auslösen. Daher hört man jetzt häufig auch „Flüchtlingskrise“, was nicht schön ist, aber etwas unbestimmter bleibt. Von einer Krise kann man nämlich sprechen, egal, mit welcher Einstellung man sich dem Thema nähert. Der Vergleich mit einer Krise verdeutlicht vielleicht auch, dass man den Menschen jetzt und kurzfristig helfen muss, ganz gleich wie man grundsätzlich zu dem Thema steht.

Von Maren Wagner und Laura Geyer

Erschienen am 12. September 2015 auf RNZ Online

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