Technobeats wummern durch den Club, die Luft steht vor Rauch. Der Schriftzug „Freedom Music“ leuchtet rot und blau auf der weißen Wand, passend zum französischen Gast: Life Producer aus Marseille legt heute im „KC Grad“ auf. Hinter dem DJ-Pult unterbrechen drei Fenster den nackten Backstein. Dahinter weist die Brankov-Brücke gelb erleuchtet den Weg über die Save nach Neu-Belgrad. Der Bartresen erinnert an einen Studentenklub, drei junge Männer geben Drinks in Plastikbechern aus. Nur Klub Mate gibt’s in der Glasflasche. Fast wähnt man sich in Berlin, hätte man nicht gerade zwei Euro Eintritt und wenig mehr für sein Getränk gezahlt.

Die lange, weiße Lockenmähne eines Mannes hüpft energisch. Er tanzt mit einer jungen Kurzhaarigen. Beide tragen schlichte, schwarze T-Shirts. Kontrastprogramm zum Balkanschick mit High Heels und Hemden, der sonst in Belgrad dominiert. Luftschnappen im Garten: bunte Plastikdecken auf schlichten Biertischen, darüber baumeln rot-weiß-karierte Lampenschirme. Von der Fassade platzt der Putz ab. Graffitis schmücken die heilen Stellen.

Das KC Grad, „Europäisches Zentrum für Kultur und Debatte“, vereint in einem alten Lagerhaus Galerie, Kunstladen, Café und Klub. Savamala, das älteste Belgrader Stadtviertel am Ufer der Save, war Ende des 19. Jahrhunderts ein blühendes Handelszentrum. Die inzwischen heruntergekommenen Industriegebäude wurden damals nach europäischem Vorbild errichtet. Seit einigen Jahren bestimmen Kulturprojekte und hippe Bars das Bild. Das pulsierende Nachtleben endet selten, bevor die Morgensonne die Save in ihr kühles Licht taucht.

In der „Hipster-Ecke“

Savamala ist nicht das einzige Viertel, das junge Kreative wiederbeleben. Vor 20 Jahren war der Belgrader Designdistrikt die Haupteinkaufsmeile der Stadt. Heute ist der erste Eindruck abschreckend: leere Geschäfte, billige Reklame, verfallene Fassaden. Doch im Erdgeschoss verstecken sich ein paar zauberhafte Geschäfte. „Wir sind die Hipster-Ecke“, sagt Silvia und grinst. Im „all nut“ verkauft sie alles aus Nuss. Der Laden ist hell und liebevoll dekoriert. Zwischen Karaffen und handgeschnittenen Seifenstücken steht eine alte Mühle, von der die blaue Farbe abblättert. „Meine Eltern haben früher alles hier im Distrikt eingekauft“, erzählt Silvia. Sie geht, wie die meisten jungen Belgrader, lieber in eins der neuen Shoppingcenter: „Da gibt es die internationalen Marken.“ Silvia öffnet ein Fläschchen: Marzipan? Nein, Pflaumenkernöl. Die Inhaltsstoffe kommen fast alle aus Serbien, hergestellt werden die Produkte in Belgrad.

Auch gegenüber, in der „Gallery 1250°“, verkauft Iva Werke aus der serbischen Hauptstadt: handgemacht und bei 1250 Grad gebrannt. Die Keramikkünstlerin hat den Shop vor zwei Jahren zusammen mit fünf Kollegen eröffnet. „Das ist der einzige Ort, an dem sich junge Künstler die Miete leisten und ihre Arbeit zeigen können“, sagt Iva. Wenn sich die Ecke weiter belebt, werden die Preise vermutlich steigen. Iva hofft trotzdem darauf.

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Wenige Meter entfernt taucht man in der prachtvollen Einkaufsstraße Knez Mihailova in eine andere Welt ein. Restaurierte Gründerzeitfassaden leuchten hellblau oder rosafarben. Internationale Ketten und Modemarken bieten ihre Waren an. Dazwischen haben zahllose Bistros Tische aufgestellt, ein „Frozen Yogurt“-Café wirbt mit den Labels „bio, zucker- und glutenfrei“. Eine Luxusblase.

Ein paar Straßen weiter dominieren wieder sozialistische Plattenbauten, bröckelt wieder der Putz. „Simona volim te“, ich liebe dich, steht in einem aufgesprühten Herz. Bunte Wäsche malt von den Balkonen herab Farbtupfer ins triste Bild. Löcher im Bürgersteig zwingen dazu, langsam zu laufen. Mitten in Variationen von Grau leuchtet ein gigantisches Graffiti.

Darunter versteckt sich im Schatten saftiger Weinblätter eine großzügige Caféterrasse. Weiße Tische, neonfarbige Drahthocker, bunt bezogene Sitzkissen. „Supermarket“ ist ein moderner Concept Store mit serbischem Design und internationaler Gastronomie. Im Inneren hängen die gleichen Riesenglühbirnen von der unverkleideten Decke, unterteilen die gleichen Betonsäulen den Fabrikraum wie in einem Berliner Szeneladen. Das junge Belgrad bedient sich lokaler Ressourcen, schaut aber aufmerksam nach Europa.

Dubai auf dem Balkan

Anders die serbische Regierung: Die blickt erwartungsvoll in Richtung Arabische Emirate. Kein Wunder, wartet das Land doch seit Jahren auf die Aufnahme in die EU. Dass Serbien finanzielle Schwierigkeiten hat, sieht man in der Hauptstadt an jeder Ecke. Prachtvolle Jugendstilhäuser verfallen vor sich hin. Mitten in der Stadt erinnert die Ruine des ehemaligen Verteidigungsministeriums an den Kosovokrieg. Serbien hat kein Geld, die Überreste abzureißen, sagt Stadtführerin Milanka.

Da kommen Investoren aus Abu Dhabi wie gerufen: Am Südufer der Save will das Unternehmen Eagle Hills für drei Milliarden Euro ein gigantisches neues Viertel bauen: „Belgrade Waterfront“ (Belgrad am Wasser) soll sich über 1,8 Millionen Quadratmeter erstrecken. Luxuswohnungen, Büros und Shoppingmalls in futuristischen Bauten, rund um einen 220 Meter hohen Wolkenkratzer. Ein zweites Dubai auf dem Balkan. Und das in einem Land, in dem der Durchschnittslohn weniger als 400 Euro beträgt.

Regierungschef Aleksandar Vucic erhofft sich den Aufstieg Belgrads zum Wirtschaftszentrum Südosteuropas. Dafür hat das Parlament im Mai ein „Sondergesetz“ beschlossen, das die geltenden Vorschriften weitgehend außer Kraft setzt. Nicht nur deswegen laufen Architekten und Organisationen Sturm: Das Überschwemmungsgebiet sei nicht untersucht worden, ist im Internet zu lesen. Es habe keine internationale Ausschreibung gegeben. Und nicht zuletzt sei die Infrastruktur, die Serbien in dem öffentlich-privaten Projekt bereitstellen soll, utopisch. Für Belgrad ist das Projekt eine Katastrophe, sagt auch Milanka: „Es zerstört das Vergnügungsviertel, das sich an der Save entwickelt hat.“

Wie viel von Savamala abgerissen wird, ist nicht klar. Allerdings sind in den ersten Monaten dieses Jahres schon 88 Familien umgesiedelt worden. Auf den schillernden Bildern, die die Webseite von „Belgrade Waterfront“ zeigt, reicht das neue Viertel jedenfalls bis an die Brankov-Brücke. Vom KC Grad dürfte dann keine Spur mehr sein. Belgrad bleibt eine Stadt im Aufbruch. Die Frage ist nur, wohin es geht.

Information:

■ Allgemeine Auskünfte erteilt das Generalkonsulat der Republik Serbien, Thüringerstraße 3, 60316 Frankfurt am Main, Telefon 069 90436760, www.frankfurt.mfa.gov.rs. Vor Ort hilft die Nationale Tourismusorganisation Serbiens, Cika Ljubina 8, RS-11000 Belgrad, Telefon 00381 116557100, www.serbien.travel.

■ Anreise: Lufthansa fliegt ab 140 Euro retour täglich von Frankfurt nach Belgrad,www.lufthansa.de.

■ Übernachten: In Novi Beograd liegt das moderne Falkensteiner Hotel Belgrad mit schönen Zimmern und sehr freundlichem Personal. Die Küche ist exzellent, das Frühstücksbuffet gilt als das beste der Stadt. Eine Übernachtung im Doppelzimmer kostet ab 89 Euro pro Person,www.falkensteiner.com/de/hotel/belgrad. Wer es günstiger mag: Am Ufer der Donau gibt es schwimmende Hostels für 39 Euro pro Nacht im Doppelzimmer, www.sanarthostel.rs.

■ Essen und Trinken: Traditionelles serbisches Essen, das heißt vor allem viel Fleisch, gibt es im Tri Sesira in Skadarlija, Hauptspeise ab 5,50 Euro, www.trisesira.rs. Neben Rakija, dem traditionellen Pflaumenschnaps, trinken die Belgrader gerne Wein zum Essen.

Erschienen am 25. Juli 2015 auf RNZ Online

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