Das Medienzentrum Heidelberg verleiht Tablets für Versuchsprojekte an Schulen des Rhein-Neckar-Kreises. Im Jahr 2014 nutzten rund 50 von 300 Lehranstalten das Angebot. Wir haben mit dem Leiter des Zentrums, Helmut Albrecht, darüber gesprochen, wie Tablets Schüler integrieren können, warum die Geräte kein Papier ersetzen und dass die deutschen Schulbuchverlage endlich aus der Deckung kommen sollen.

> Was bringt Schülern das Lernen mit Tablets?

Ein elektronisches Englischbuch vereint zum Beispiel das klassische Schulbuch mit einem Aufgabenheft und einer DVD. Die Kinder haben beim Lesen die Möglichkeit, Aufnahmen eines Muttersprachlers anzuhören; sie können Aufgaben machen und direkt Feedback bekommen. Auf dem iPad ist es möglich, Text zu markieren und Anmerkungen zu machen – geschrieben oder gesprochen, das ist auch für Schüler mit Behinderung interessant. Außerdem können die Kinder kreativ werden.

> Wie zum Beispiel?

Schüler können selbst Lerneinheiten produzieren. Drei Siebtklässler haben im Kunstunterricht ein Buch zu Picasso erstellt – mit Bild, Text und einem selbst gesprochenen Hörspiel. Das ist am PC nur mit speziellen Programmen möglich. Weil die Bedienung des Tablets wirklich kinderleicht ist, kann man sich direkt dem Inhalt widmen und muss nicht erst lernen, mit der Technik umzugehen. Außerdem können wir die Schüler auf unterschiedlichen Niveaus und Kanälen ansprechen – zum Beispiel auditiv statt über die Schrift – und jedes Kind da abholen, wo es steht.

> Tablets machen also individualisiertes Lernen möglich. Ist das eine Revolution?

Schon früher war das Lernen individualisiert: Man schaute seinem Meister zu und lernte. Dann kam die Revolution des Buchdrucks. Das Wissen wurde nun weitergegeben, indem einer für viele dozierte. In der Schule ist das bis heute so. Jetzt haben wir die technischen Möglichkeiten, differenziertes Material anzubieten. Ich könnte mir vorstellen, dass das den Unterricht verändert. Aber es ist kein Wundermittel.

> Können Tablets Inklusion fördern?

Ich weiß von einer Schülerin, die nicht vor anderen Personen redet. Seit sechs Wochen hat ihre Schule Tablets von uns. Jetzt macht sie ihre Vorträge im stillen Kämmerlein und filmt sich mit dem Gerät. Das funktioniert. Im Moment entwickeln wir Material mit unterschiedlichen Sprachniveaus, nicht nur für Schüler mit Migrationshintergrund. Und es gibt bereits spezielle Apps für Sonderschüler.

> Bieten die Schulbuchverlage genug elektronische Lehrmaterialien an?

Noch nicht. Die Nachfrage ist da, die Verlage sagen aber: Wir produzieren das nicht, weil die Lese-Geräte an den Schulen fehlen. Würden mehrere Verlage zusammen Geräte und Content verkaufen, wäre das Problem gelöst. Die ersten kommen jetzt aus der Deckung, Westermann hat mit dem Diercke-Geographie-Buch für die Jahrgangsstufen 5 bis 9 gerade das erste deutsche iBook rausgegeben.

> Und wer zahlt die Tablets?

In Baden-Württemberg haben wir die Lernmittelfreiheit: Alles, was mehr als einen Euro kostet, zahlt der Schulträger. In anderen Bundesländern gibt es oft Sozialfonds. Aus finanziellen Gründen muss kein Kind ausgeschlossen werden. Ich sehe auf lange Sicht das Modell „bring your own device“ (bring dein eigenes Gerät). Die Kinder werden ohnehin eins haben.

> Kritiker sagen, wir prägen uns besser ein, was wir mit der Hand schreiben. Wie sehen Sie das?

Ich bin der Meinung, das Tablet sollte nicht das Heft und die Schrift ersetzen. Es ist ein Werkzeug, das die bisherigen Unterrichtsmöglichkeiten ergänzt. Die Kinder sollen weiter auf Papier Schreiben lernen. Aber das Tablet bietet spielerische Übungsmöglichkeiten. Und es motiviert die Kinder zum Lernen, weil sie direkt belohnt werden, wenn sie den nächsten Level erreichen.

> Was ist, wenn die Schüler mehr spielen als lernen?

Das passiert mit dem Tablet viel weniger als mit dem klassischen PC, hinter dem sich die Schüler verstecken können. Das Tablet ist kleiner als ein Schulbuch, ich kann es umdrehen oder wegpacken lassen und nur dann einsetzen, wenn ich es brauche – so wie einen Taschenrechner.

> Sind Tablets die Zukunft des Schulunterrichts?

Die nächste Zukunft, ja. In drei, vier Jahren wird die Akzeptanz so weit sein, dass es Tablets in allen Schulen gibt. Die Frage ist, wann die Verlage aufspringen. Der Druck aus dem Ausland wird immer größer – die Texte zu übersetzen, ist ja kein Problem. Die Herausforderung für die Kommunen und anderen Schulträger ist es, die Infrastruktur bereitzustellen, also WLAN und Speicherplatz.

> Wie sieht es mit dem Datenschutz aus?

Wir brauchen einen Cloud-Speicher in Deutschland. Meiner Meinung nach ist das eine länderübergreifende Aufgabe. Ich wünsche mir, dass jedes Kind mit dem Eintritt in die Grundschule einen E-Mail-Account sowie einen Speicherplatz bekommt und bis zu seinem Ausbildungsabschluss behält.

Erschienen am 15. Januar 2015 auf RNZ Online

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