Pause für Politiker, Bildungsexperten, Eltern- und Lehrervertreter. Zu Wort kommen endlich mal diejenigen, um die es geht: die Schüler. Thema ist der neue Bildungsplan der grün-roten Landesregierung, Knackpunkt ist das Ziel, die Akzeptanz nicht-heterosexueller Lebensformen im Unterricht zu fördern. Doch was denken Schüler darüber – und wie gehen sie selbst mit dem Thema „Sexuelle Vielfalt“ um? Die RNZ hat mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen gesprochen, in Schulen, Cafés und Beratungsstellen. Die Ergebnisse sind überraschend – und zum Teil erschreckend.

> „Übertrieben“ finden viele Heidelberger Schüler sowohl den Aspekt der sexuellen Vielfalt im Bildungsplan als auch die Reaktionen darauf. Natürlich sollten Homosexuelle akzeptiert werden, meint Sarah (18) vom Elisabeth-von-Thadden-Gymnasium. Sie sieht aber „keine Notwendigkeit, das Thema im Unterricht breitzutreten“. Auch Isaac (16) vom Helmholtz-Gymnasium findet, dass die Gesellschaft hier schon sehr tolerant ist. Mitschüler Anschar (18) fügt hinzu, dass man auch andere Meinungen akzeptieren müsse. Dagegen wendet Lars (17) ein: „Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt.“

> Die Angst vor „sexueller Indoktrination“ finden alle total bescheuert. „Das klingt, als könnte man sich das aussuchen“, lacht Sarah verständnislos. Niklas (16) fügt hinzu: „Jungs werden ja nicht schwul, weil es modisch wäre.“ Dass es genug Schwule und Lesben aus konservativen Elternhäusern gibt, sieht Sarah als Beweis dafür, dass Homosexualität nicht anerzogen sein kann.

> In ihrem Geschichtsbuch habe gestanden, dass auch Homosexuelle zu den Verfolgten des NS-Regimes zählten, berichten Kimberly (16) und Marius (17). Sie besuchen die Viernheimer Albertus-Magnus-Schule und verfolgen die Diskussion von der hessisches Nachbarschaft aus. Kimberly erinnert sich auch an das Wedekind-Drama „Frühlings Erwachen“, in dem sich zwei Jungen näherkommen. „Wir haben mit unserem Lehrer darüber geredet, ob sie homosexuell sind oder sich ausprobieren wollen.“ In Baden-Württemberg hat Niklas über das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare diskutiert.“ Gerade da merkt man, dass Aufklärung notwendig ist: Bei mir fand die Hälfte des Kurses das unnatürlich“, merkt seine Mitschülerin Keshia (16) an.

> Ist Schule überhaupt der richtige Ort, um über andere Formen der Sexualität zu reden? „Auf jeden Fall“, findet Keshia. „Je früher man es einfließen lässt, desto eher sehen Menschen es als normal an.“ Anschar und sein Mitschüler Nicolas (17) halten es deshalb für richtig, schon in der Grundschule mit der Aufklärung zu beginnen. Sie geben zu, Berührungsängste mit Homosexuellen zu haben, „weil man es einfach nicht so oft sieht.“ Sarah glaubt nicht, dass man Grundeinstellungen ändern kann – die kämen aus den Elternhäusern. Keshia sieht das weniger negativ: „Es geht darum uns aufzuklären, damit wir uns eine eigene Meinung bilden können!“ Isaac fügt hinzu, dass seine Eltern nie mit ihm über das Thema gesprochen hätten, er also fast alles darüber aus der Schule wisse. Auf das Umfeld kommt es in jedem Fall stark an, sind sich alle einig: das Zuhause, der kulturelle Hintergrund, die soziale Umgebung, der Schultyp.

> In den Aufklärungsunterricht gehören jedenfalls alle Formen von Sexualität, finden die Schüler. Dort sei die sexuelle Vielfalt kein Thema gewesen, erinnert sich Kimberly. „Das Ganze sollte einem aber auch nicht in jeder Matheaufgabe und jedem englischen Übungssatz aufgedrängt werden.“ Man könne zum Beispiel statt „Vater und Mutter“ auch einfach „Eltern“ schreiben, weil diesen Begriff jeder für sich deuten kann, findet Sarah. Keshia schlägt vor, zum Beispiel im Kunstunterricht zu erwähnen, wenn ein Künstler schwul ist – „wir kriegen ja auch erzählt, wie oft einer verheiratet war“. Außerdem könnte im Deutschunterricht mal ein Buch behandelt werden, in dem Homosexualität Thema ist. Isaac findet vor allem die Begegnung wichtig und kann sich vorstellen, dass zum Beispiel ein Gespräch mit einem schwulen Paar eindrücklicher ist als eine Unterrichtseinheit. „Viele Homophobe kennen keine Schwulen.“

> „Politische Überkorrektheit“ beklagt Niklas. Trotz der Umbenennung der „Schokoküsse“ gebe es zum Beispiel immer noch Rassismus. Keshia erzählt von ihrem Französischbuch, in dem eine Familie „ein Kind von jedem Kontinent“ hat. Da müsse man schon realistisch bleiben. Niklas fragt sich, ob man beim Thema Homosexualität nicht einfach auch bei der Realität bleiben sollte. Schließlich sei die Mehrheit der Gesellschaft heterosexuell. Anschar und Lars überlegen dagegen, dass „schwul“ viel zu oft als Schimpfwort benutzt wird.

> Nicht zuletzt auf den Lehrer kommt es an, findet Kimberly: „Wenn die Schüler sehen, dass er über alle Formen von Zusammenleben spricht und offen mit dem Thema umgeht, müssen Schwule oder Lesben in der Klasse weniger Angst haben.“ Marius ergänzt: „Es wäre ein Anfang, wenn man darüber reden würde“.

> „Wenn sich einer outen würde, könnte er schon Probleme bekommen“, meint Marius. „Ich kenne einen homosexuellen Jungen, der das gemacht hat. Danach ist er von vielen seiner früheren Freunde links liegen gelassen worden“, weiß Kimberly zu berichten. Die Jungs hätten Angst gehabt, von ihrem schwulen Mitschüler angemacht zu werden. „Dabei ist das ja genauso, wie mit einem Mädchen befreundet zu sein: Da muss auch nichts laufen“, überlegt Anschar. Er fände es schon erst einmal befremdlich, wenn sich ein Freund von ihm outen würde, aber deswegen würde er ihn nicht weniger mögen. „Mädchen hätten mit einer lesbischen Mitschülerin weniger Probleme“, vermutet Kimberly, „Berührungen sind bei uns weniger schlimm.“ Isaac glaubt, dass Männer eher homophob sind, weil sie Angst haben, „unmännlich“ zu sein – Frauen hätten vielleicht weniger Probleme mit ihrer Weiblichkeit. Marius wirkt nicht 100-prozentig überzeugt.

Von Laura Geyer und Philipp Weber

Erschienen am 20. März 2014 auf RNZ Online

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